Bericht aus der Passauer Neuen Presse vom 10.08.2023
Von Katja Elsberger
Vilshofen. „Mein Mann hat mich gefragt, ob er einen Termin machen muss, um mich zu sehen“, sagt Tanja Frei und lacht – wenn es nicht so traurig wäre. Zeit mit der Familie ist für die 74-Jährige knapp geworden. 30 bis 40 Stunden pro Woche hilft die Vilshofenerin, die fließend Russisch spricht, als Übersetzerin bei Behördengängen von Geflüchteten aus der Ukraine. Ihr Ehrenamt hat sich zu einem Full-Time-Job entwickelt. Sie steht immer auf Abruf bereit, ebenso ihre Kollegin Svetlana Waldschmidt (49). Wie von selbst füllt sich der Terminkalender, weil die Frauen für sämtliche Terminen im Ausländeramt, beim Landratsamt, im Jobcenter beansprucht werden.
„Es ist mittlerweile Usus, bei jeglichen Behördenterminen – und sei es nur der Termin zum Nehmen der Fingerabdrücke – einen Dolmetscher zu fordern. Diese Erwartungshaltung sollten die Behörden dringend überdenken“, findet Eva Felscher, 1. Vorsitzende des Arbeitskreises Vilshofener Asylbewerber, die bereits an einem Brandbrief für die Behörden feilt.
So richtig zugeben wollen Tanja Frei und Svetlana Waldschmidt nicht, dass ihnen das Ehrenamt zu viel wird – aber Eva Felscher will nicht mehr zuschauen, wie die Helferinnen verheizt werden. „Seit Beginn der Ukraine-Krise vor mehr als einem Jahr sind sie viele Stunden pro Woche im halben Landkreis unterwegs, um Übersetzungsdienste zu leisten. Sie sind zunehmend ausgelaugt“, ist Felscher aufgefallen. Das betreffe auch die Arabisch- und Englisch-Übersetzer.
Formulare nur auf Deutsch – „Warum?“
„Wir hetzten nur noch von einem Termin zum anderen“, sagt Waldschmidt und zeigt ihren Terminkalender. Felscher rechnet vor: „Fahrzeit nach Passau zum Ausländeramt 30 Minuten, Wartezeit 15 Minuten, zurück nach Vilshofen 30 Minuten. Und das für einen Zehn-Minuten-Termin. Das ist irrsinnig.“
Nicht zu vergessen: Davor müssen allerlei Dokumente ausgefüllt werden. „Die Formulare gibt es nur auf Deutsch. Aber warum?“, fragt sich Felscher schon seit der Flüchtlingskrise 2015. „Es würde uns viel Zeit sparen, wenn es wenigstens die Papiere in den gängigen Sprachen gäbe. Dann könnten sie die Geflüchteten selbst ausfüllen.“
Die Migranten alleine die Termine wahrnehmen lassen, geht nicht. Denn von den Behörden wird bereits bei der Terminvergabe explizit ein Übersetzer gefordert. Dann muss sich jemand vom Helferkreis hinters Telefon klemmen und einen Übersetzer organisieren. „Es kann doch eigentlich nicht Aufgabe von Ehrenamtlichen sein, bei jedem Behördentermin einen Dolmetscher zu organisieren?“
Das Asyl- und Ausländerrecht ist kompliziert, so auch die Regelung, ob ein Dolmetscher bei Behördengängen dabei sein muss. Ämtermitarbeiter sollen ausschließlich Deutsch sprechen, um juristisch auf der sicheren Seite zu sein. „Aber unsere Ehrenamtlichen dürfen sich angreifbar machen? Das ist okay? Sie könnten ernsthafte Probleme bekommen, wenn was nicht stimmt“, kritisiert Felscher. Die Behörden sollten professionelle Übersetzer engagieren. „Da geht‘s um Aufenthaltstitel, Visa und Abschiebungen – da kommen Ehrenamtliche an ihre Grenzen“, sagt die AVA-Vorsitzende.
Wenn sich kurzfristig kein Übersetzer auftreiben lässt, müssen die Geflüchteten alleine zum Amt. „Erst kürzlich musste ein Geflüchteter, den ich betreue, im Jobcenter der Stadt Passau unterschreiben, dass er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, weil er keinen Dolmetscher dabei hatte – und das, obwohl ich sogar zuvor telefonisch darauf hingewiesen hatte, dass kein Dolmetscher gefunden werden konnte“, ärgert sich Eva Felscher. „Letztlich stehen wir da, als hätten wir uns nicht bemüht.“
Die Lage ist verzwickt. Aber Eva Felscher hat einen Lösungsvorschlag: „Die Behörden könnten mehrere Personen, die ähnliche Anliegen haben und die gleiche Sprache sprechen, in einer Sprechstunde zusammenfassen. Das wäre viel effektiver. Zusätzlich wäre noch ein Fahrtkostenzuschuss für die ehrenamtlichen Übersetzer wünschenswert.“
Der AVA weiß, dass seine Arbeit Früchte trägt. „Was wir machen, das hilft. Wir merken das“, sagt Felscher, die sich aber mehr Entgegenkommen von Behörden wünscht. Die Hilfe des AVA werde teilweise als selbstverständlich angenommen. „Wir engagieren uns gerne. Aber bitte hört uns zu.“